LĂ€dt

Gesundheit in Deutschland: Public Health Expert:innen analysieren Strukturen, Dynamiken und Wege in die Zukunft

Deutschland investiert Milliarden in sein Gesundheitswesen – doch die Ergebnisse bleiben hinter denen vieler europĂ€ischer Nachbarn zurĂŒck. Warum ist das so? Eine aktuelle Analyse der Gesundheitspolitik beleuchtet systematische SchwĂ€chen und macht ReformvorschlĂ€ge. Deutschland gehört zu den wirtschaftsstĂ€rksten Nationen der Welt. Das Sozialsystem ist gut ausgebaut, die Gesundheitsausgaben pro Kopf sind die dritthöchsten innerhalb der Organisation fĂŒr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Trotzdem bleiben die Gesundheitsindikatoren des Landes hinter denen vergleichbarer europĂ€ischer Staaten zurĂŒck. Die Menschen sind krĂ€nker und sterben frĂŒher. Wie kann das sein?

Eine kĂŒrzlich in der renommierten Fachzeitschrift Lancet Public Health erschienene gesundheitspolitische Übersichtsarbeit unter Leitung des Leibniz-Instituts fĂŒr PrĂ€ventionsforschung und Epidemiologie in Bremen (BIPS) und der Mitarbeit von Prof. Dr. Susanne Moebus vom Institut fĂŒr Urban Public Health der UniversitĂ€tsmedizin Essen und der Medizinischen FakultĂ€t der UniversitĂ€t Duisburg-Essen kommt zu einem ernĂŒchternden Ergebnis: Deutschland hat ein strukturelles Problem in der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Statt Krankheiten zu verhindern, konzentriert sich das System zu sehr auf deren Behandlung – und das mit zum Teil ineffizienten Strukturen.

„Ein System, das Krankheiten verwaltet, statt sie zu verhindern“
Die an der Studie beteiligten Wissenschaftler:innen sehen drei Hauptprobleme:
‱ Fehlende zentrale Steuerung – Deutschland hat keine starke Institution, die Public-Health-Maßnahmen koordiniert. Stattdessen herrscht ein Flickenteppich aus ZustĂ€ndigkeiten zwischen Bund, LĂ€ndern und Kommunen, der zu schlechter Abstimmung und ineffizienter Mittelverteilung fĂŒhrt.
‱ Zu wenig verhĂ€ltnisbezogene PrĂ€vention und Gesundheitsförderung, zu viel Reparaturmedizin – Die Krankenkassen investieren Milliarden in hochspezialisierte Behandlungen, wĂ€hrend die Finanzierung von PrĂ€vention und Gesundheitsförderung weiterhin ein Nischendasein fristet.
‱ Lobbys verhindern wirksame Maßnahmen – Zuckersteuer? Temporeduzierungen in StĂ€dten zur Erhöhung der Sicherheit und Förderung aktiver MobilitĂ€t? Regulierungen fĂŒr Tabak und Alkohol? In Deutschland sind diese Maßnahmen entweder abgeschwĂ€cht oder nie umgesetzt worden – oft unter dem Einfluss wirtschaftlicher Interessen.

„Die Folge ist ein sehr teures Gesundheitssystem, das aber kaum Nutzen fĂŒr Erhalt und Föderung der Gesundheit der Bevölkerung bringt“, so Prof. Dr. Susanne Moebus.

Nachteile föderaler Strukturen
Neben einigen Vorteilen wie dem Spielraum fĂŒr eigene Schwerpunktsetzungen haben die föderalen Strukturen in der öffentlichen Gesundheitsversorgung auch Nachteile. Zu oft werden Gesundheitsdaten unkoordiniert erhoben und sind nicht ausreichend miteinander verbindbar – ein Problem, das sich wĂ€hrend der Covid-19-Pandemie besonders deutlich zeigte.
„WĂ€hrend andere LĂ€nder klare Strategien fĂŒr Public Health entwickelt haben, fehlt eine solche in Deutschland“, erklĂ€rt Ko-Autor Prof. Dr. Ansgar Gerhardus von der UniversitĂ€t Bremen.

LösungsvorschlÀge: Mehr Mut zu Public Health
Die Autor:innen der Arbeit schlagen vier zentrale Reformen vor:
‱ Eine starke IdentitĂ€t fĂŒr Public Health entwickeln – Deutschland braucht eine kohĂ€rente Vision fĂŒr Gesundheitspolitik, die PrĂ€vention und Gesundheitsförderung in den Mittelpunkt stellt.
‱ Eine nationale Public-Health-Strategie aufstellen – Gesundheitsförderung darf nicht lĂ€nger ein Flickwerk bleiben, sondern muss systematisch und sektorĂŒbergreifend gedacht werden.
‱ Gesundheitsförderung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen – Neben dem Gesundheitswesen mĂŒssen auch Bildung, Arbeit und Umweltpolitik verstĂ€rkt auf prĂ€ventives Handeln ausgerichtet werden.
‱ Kommerzielle Interessen regulieren – Die Politik muss sich trauen, gesundheitsschĂ€dliche wirtschaftliche Interessen stĂ€rker zurĂŒckzudrĂ€ngen, sei es bei ErnĂ€hrung, Alkohol oder Tabak.

„Deutschland muss umdenken“
Die Wissenschaftler:innen betonen, dass der Status quo nicht nur ein Problem fĂŒr die Gesundheit der Bevölkerung ist, sondern auch fĂŒr die wirtschaftliche Zukunft des Landes. Die Kosten fĂŒr das Gesundheitssystem steigen seit Jahren, wĂ€hrend die Krankenkassen immer wieder Beitragserhöhungen ankĂŒndigen mĂŒssen.
„Deutschland kann sich sein aktuelles System auf Dauer nicht leisten – weder gesundheitspolitisch noch wirtschaftlich“, sagt Erstautor Prof. Dr. Hajo Zeeb vom BIPS. „Wir brauchen eine Neuausrichtung hin zu mehr PrĂ€vention, wenn wir nicht weiter in der Kostenspirale gefangen bleiben wollen.“
Die Analyse macht deutlich: Deutschland hat die Mittel, um ein gesĂŒnderes und effizienteres System aufzubauen – doch es fehlt bislang der politische Wille, die notwendigen Reformen anzugehen.

Link zur Originalpublikation
Public health in Germany: structures, dynamics, and ways forward

Link zur Meldung des BIPS
Gesundheit in Deutschland: Hohe Ausgaben, schwache Ergebnisse – eine aktuelle Analyse zeigt auf, woran es hakt

slot gacor
WordPress Appliance - Powered by TurnKey Linux